“Reisegruppe >>Tage wie diese<< auf dem Weg nach Österreich” - Die Toten Hosen in Innsbruck am 28.05.2012

 

Es ist 23.15Uhr und ich stehe mit meinem Rucksack am Duisburger Hauptbahnhof. Unser guter Freund Ralf hat für die beiden Hosenkonzerte in Frankfurt a.d. Oder und Innsbruck Bustouren organisiert und die Tour nach Innsbruck passte mir noch perfekt in meinen Plan. Ich treffe auf die ersten Mitreisenden und dann geht es pünktlich um halb zwölf über verschieden Stationen, an denen wir immer wieder Menschen einsammeln, gen Süden nach Österreich. Obwohl ich eigentlich echt platt bin vom bisherigen Wochenende, ist an Schlaf nicht wirklich zu denken. Die komplette Fahrt über gibt es Die Toten Hosen zu hören oder sogar auf DVD zu sehen. Gegen halb vier in der früh lerne ich dann Robert zum ersten Mal kennen – bzw. besser: Robert und sein Akkordeon. Die Hosenmusik aus den Lautsprechern wird nun nämlich ausgemacht, damit Hosenmusik aus dem Akkordeon erklingen kann, weil Ralf gerne singen möchte (das tut er in der Tat sehr gern….singt selbst bei CDs mit, die er gerade zum ersten Mal überhaupt hört). Man glaubt jedenfalls gar nicht, wie laut so ein Akkordeon ist.

Ralf war zur Freude aller so schlau, das übrig gebliebene Geld in Bier zu investieren. Das obligatorische Altbier, aber auch Pils, wird die ganze Nacht hindurch bereits freudig vertilgt. Wenn man so die Nacht durchtrinkt und eigentlich gar nicht schläft, ist es nur für die der Hosenwelt fremden Menschen an den Rasthöfen ein vielleicht seltsam anmutendes Bild, wenn so zahlreiche übermüdete Menschen bereits morgens um halb acht mit einer Pulle in der Hand draußen herumstehen.
Hosenfans sind zu dem aber auch eine sehr offene und ehrliche Gattung. Wer im Bus den Gang entlang bis nach vorne kommt, um sich mit frischem Bier aus dem Kühlschrank zu versorgen, und dessen Körper die lange Fahrt und den Alkohol irgendwie blöderweise in geruchlichen Auswüchsen verarbeitet hat, der bekommt das freundlichst mitgeteilt und auf Wunsch anschließend noch eine “Drei-Sekunden-Gratis-Deo-Dusche” obendrauf. Sehr nett, wie ich finde.

Endlich ändert sich das landschaftliche Bild, wir fahren inzwischen abseits der Autobahn und haben einen wunderbaren Blick auf eine idyllische Berg-, Wald- und Seelandschaft. Dank meines Handys weiß ich, dass wir soeben in Österreich angekommen sein müssen, denn mein Netz ist nun kein deutsches mehr. Weit kann es nun also nicht mehr sein.

Nach 12 1/2 Stunden Fahrt gegen 12Uhr mittags stolpert dann eine ganze Busladung voller überwiegend schon angetrunkener deutscher Hosenfans auf die Straßen Innsbrucks, quasi ausgekippt unmittelbar vor der Halle, schaut sich leicht verwirrt um, hält das Bergpanorama für eine Pappleinwand und ist relativ unschlüssig, was sie nun machen soll. Die beste Idee scheint zu sein, erst einmal das Altbierfass rauszuholen und den Boden mit Diebels zu markieren.
Vor der Halle sitzen nur eine handvoll Fans und warten jetzt schon auf den Einlass. Hinter uns reiht sich eine Pferdekutsche für Touristentouren hinter der anderen. Ich bin davon überzeugt, dass eben diese Kutschfahrer uns bereits in ihrem Besichtigungsplan aufgenommen haben und beim Vorbeifahren so etwas sagen wie “Zu ihrer Rechten sehen Sie nun betrunkene Deutsche, die heute abend ein so genanntes “Die Toten Hosen-Konzert” besuchen wollen. Eine laute, aber dennoch sehr handzahme und freundliche Gattung Mensch”.
Ein Mann mit Flip Flops (perfekte Konzertbeschuhung also) sagt ganz passend “So, et wird Zeit zu Pöbeln”. Auch Pöbeln hat hier aber etwas durchaus nettes. Robert packt nämlich wieder sein Akkordeon aus und nun singen wir uns alle lautstark und recht schied querbeet durchs DTH-Liedgut. Mittlerweile sollte ganz Innsbruck wissen, dass wir da sind und die Stadt wohl für diesen Tag übernehmen werden.
Kultur soll ja aber auch noch auf dem Programm stehen. Aber jetzt laufen? Da fällt unser Blick wieder auf die Kutschen hinter uns. Der Entschluss ist schnell gefasst, wir haben zügig sechs Leute beisammen und so machen wir uns für ‘nen Fünfer pro Kopf je mit einem Alt in der Hand auf die Kulturreise durch die Stadt. Die nette Kutscherin erklärt uns, was wir so sehen. Es wirkt aber fast so, als seien wir für die Touristen um uns herum die eigentliche Attraktion. Wir Banausen erfahren auch, dass wir gar nicht in Österreich sind, sondern in TIROL! Wie konnten wir nur dieser fälschlichen Annahme sein (Bayern gehört ja auch nicht zu Deutschland 😉 ). Nach der halbstündigen Fahrt stehen wir schon wieder am Startpunkt vor der Halle. Ein Blick auf die Uhr verrät uns “Jo, Tatsache…nu ist es nur eine halbe Stunde weniger Wartezeit bis zum Einlass”,  also immernoch verdammt viel Zeit – wat nu?
Nächster Entschluss: Auf in die Altstadt! (Irgendwie gefällt der Satz ja den meisten Düsseldorfern…auch wenn hier natürlich die Altstadt Innsbrucks gemeint ist). Zunächst gehen wir also mit einem kleinen Trupp noch ins Hostel zweier weiterer Fans, sitzen auf der kleinen Terrasse in der Sonne und als eine Frau aus einem Fenster den Zeigefinger erhebt und meint “nicht zu laut!”, wird das Akkordeon wieder rausgeholt. Wir lassen uns ja nicht zwei Mal bitten.
So ziehen wir dann auch noch mit einer handvoll Leute singend zur Akkordeonmusik durch die Altstadt. Wir lösen uns zu zweit von der Gruppe, um noch etwas zu essen zu holen. Das Wiederfinden der anderen ist ganz leicht, obwohl wir nicht ausgemacht hatten, wo:
Man folge auch hier einfach dem Ruf des Akkordeons. Man tue dies so lang, bis man auf einen betrunkenen, singenden, liebenswerten Pöbel trifft. Uns leitet dieses Prinzip zu einem Biergarten. Die Invasion ist nun fast perfekt: zahlreiche Hosenfans haben die Kneipe für sich beansprucht und alle singen sich gemeinsam lautstark und teilweise auch bereits Fahnen wehend warm. Die Innsbrucker selbst scheinen leicht verstört. Die Touristen suchen vermutlich schwitzend im Reiseführer nach Informationen zum Verhalten in einer solchen Situation.. Ich hab Spaß. Es hat was von Fußballfans und deren Gesängen, nur ohne Fußball und so auch ohne Gegner. Also viel freundlicher irgendwie.

Endlich ist es auch Zeit, zur Halle zu gehen. Stefan, ein Mitreisender aus dem Bus, und ich stapfen also los. Schilder im Eingangsbereich deuten darauf hin, dass wir uns bereit erklären, dass eventuell Bildaufnahmen von uns gemacht werden. Mir fallen die Schilder eigentlich nur auf, weil andere Fans bereits erzählt haben, dass auch in Frankfurt schon mitgefilmt wurde.
Stefan selbst steht auf der Gästeliste und bekommt am Eingang ein rotes Aftershowbändchen verpasst. Wir beschließen mal zu testen, was man mit so einem roten Stück Papierstreifen noch alles anstellen kann und fragen uns selbstbewusst zum Backstagebereich durch. Da bekommen wir tatsächlich   (warum auch immer) Einlass gewährt, nicht schlecht. Wir stehen nun also in einer Art Hof, als das “Hallo” einer recht bekannten Stimme mich innerlich fast Luftsprünge machen lässt. Wir wurden soeben von Campino wie selbstverständlich im Vorbeigehen begrüßt. Auch Breiti und Kuddel laufen hinter uns rum. Als wir uns dann noch eine Flasche Wasser besorgt haben, ist der Spaß im Backstage aber auch schon wieder vorbei, wir fliegen auf und werden liebevoll hinausgeschmissen. Naja, was soll’s.

Wir stehen nun zunächst mal ganz vorne rechts direkt vor der Bühne. Die Halle an sich gefällt mir recht gut und unter zahlreichen Mauerbögen ist jeweils ein Balkon angebracht.
Dann geht auch schon das Konzert los.
Wölli und die Band des Jahres wärmen heute die Menge wie auch schon in Frankfurt auf und werden vom Publikum recht herzlich begrüßt. Fragt mich nicht bei welchem genau (fragt mich lieber insgesamt nicht nach Details zu diesem Zeitpunkt des Abends, ich kann zur Vorband leider wenig sagen), aber Campino ist dann auch noch so frei und singt einen Song mit, was natürlich dafür sorgt, dass die Stimmung nun noch ein ganzes Stück steigt. Nach einer halben Stunde ist es wie bei den meisten Supportacts auch schon vorbei und die Bühne wird hektisch umgebaut. Irgendwie find ich es recht unwirklich, dass ich heute tatsächlich in Innsbruck stehe und da oben gleich die Hosen sehen werde. Mein letztes Hosenkonzert ist leider viel zu lang her…
Dann geht das Licht aus, tosender Jubel ertönt und das bereits auf Platte unheimlich geniale Intro von “Ballast der Republik” ertönt. Ich hab fast Gänsehaut, weil es in dieser Lautstärke verbunden mit dem Hochziehen der im Scheinwerferlicht erhellten Flaggen einfach so verdammt grandios ist.
Als dritter Song des Abends ertönt dann “Auswärtspiel” und nun hält auch mich nichts mehr am Rand. Mit dem Lied verbinde eich tatsächlich unglaublich gute Erinnerungen an meine eigene Fußballzeit damals in der U17-Jugend.
Die Setlist besteht insgesamt aus einem guten Mix alter und neuer Songs. Bei “Paradies” holt Campino wieder jemanden zum Singen auf die Bühne. Der kriegt den Text nicht so wirklich gut hin, aber was soll’s (vor allem, weil ich mir einbilde, dass Campino selbst auch mit einer falschen Zeile den Einsatz gibt…aber das will ich nicht beschwören ). Als der Kandidat wieder ins Publikum geschickt wird, sieht ein anderer junger Herr mit langem Haar und nacktem Oberkörper seine Chance gekommen, stürmt die Bühne, krallt sich Campis Mikro und gröhlt drauf los. Ob er den Text besser drauf hat, vermag ich nicht zu beurteilen – ich verstehe nämlich kein Wort. Aber die Show, die er abzieht, ist groß.

In der Halle ist es unheimlich heiß, die Luft steht und scheint so komprimiert, dass man, wenn man wollte, sie vermutlich zerschneiden und in Blöcken fein säuberlich stapeln könnte. Ich bin kletschnass. Die Menschen um mich herum logischerweise auch. Beim Pogen muss ich feststellen, dass so triefendnasse nackte männliche Oberkörper dafür sorgen, dass man quasi immer wieder abrutscht und weniger “Kontrolle” hat. Jedenfalls wird man irgendwie nicht in die Richtung zurückgeworfen, mit der man beim Zusammenprall gerechnet hätte, sondern bekommt eine Art “Drift” in eine völlig unvorhergesehene Richtung. Ganz interessant, wenn auch irgendwie ein wenig eklig.
Der Sänger von der Bühne kündigt derweil den nächsten Song an. Auf ihrer “Magic Mystery”-Tour quer durch die Wohnzimmer Europas seien sie immer wieder gefragt worden, ob sie auch “Westerland” spielen würden. Aber dieser Song sei doch von dieser “anderen” Band! Immerhin hätten sie es geschafft, EINEN guten Song dieser anderen Band zu finden und den gäbe es nun. Jedem ist klar, dass nun “Schrei nach Liebe” kommt, der Song, den die Hosen auf ihrer neuen Platte gecovert haben. Ich, als sowohl riesen Die Ärzte-Fan als auch als Hosenfan finde das natürlich klasse. Endlich höre auch ich nun den Song der einen geliebten Band gespielt von der anderen.
Mir fällt schlagartig auf, dass ich heute ja noch gar nicht crowdsurfen war und so nutze ich diesen genialen Moment, um das schnell nachzuholen. Ich werde eher weitergeworfen als weitergereicht und lande dann im Graben. Immer wieder spaßig.

Danach folgen weitere Songs und die Zugaben und der Abend endet mit “You’ll never Walk alone”, das danach noch unglaublich lang und unfassbar laut von der Menge weitergesungen wird. Überhaupt waren die Fans heute zum Teil so laut, dass ich eher ihren Gesang als den von Campino wahrgenommen habe, aber es waren ja auch alle gut warm gesungen.

Das Konzert ist also rum, erst jetzt finde ich einen Teil meiner Reisegruppe wieder, unter anderen auch den Mann mit den Flip Flops, der nun aber mittlerweile der Mann ohne Flip Flops ist und barfuß und shirtfrei durch die Halle spaziert.
Ich bin nass, völlig fertig und habe Durst ohne Ende. Wir bekommen aber nichts mehr außer nicht sehr gut schmeckender Zitronenlimo – und das, obwohl sich die Apfelschorlen in der Halle noch stapeln. Wir dürfen aber nicht mehr hinein und die Verkäufer meinen, die Flaschen könnten sie nicht holen, weil dann ja alles durcheinander käme. Nun gut, dann halt Zitronenlimo.
Die Securitys sind im Eiltempo damit beschäftigt, die Halle zu räumen und auch wir werden als das Absperrband dann bei uns ankommt, hinausgefegt. Glücklicherweise wartet unser Bus unmittelbar vor der Halle und selbst der Allerbetrunkenste schafft es so, einfach aus der Halle heraus und in den Bus hinein zu fallen..
Die Fahrer verteilen heiße Würstchen mit Senf und ich falle über meine Wasserflasche her. Eine Stunde nach Konzertende glauben wir, dass der Großteil der Gruppe nun da sein dürfte, wir mit über 50% also einen guten Schnitt haben (ein bisschen Schwund ist ja immer) und treten die Heimfahrt an. Die Fahrt ist verständlicherweise wesentlich ruhiger als auf dem Hinweg, da alle einfach nur platt sind. Der Bus leert sich in umgekehrter Reihenfolge zur Hinfahrt in den einzelnen Städten. Zwölf Stunden später landen wir wieder in Duisburg, dem Ort, wo der Trip vor gerade einmal 36 Stunden angefangen hat.
Zum Ende der Fahrt läuft keine CD mehr, sondern Radio. Ironischerweise, als ob der Radiomoderator mit uns im Bus säße, läuft als allerletzter Song, den wir im Bus hören, “Tage wie diese”.
Ich wanke in die Sonne Duisburgs. Um mich herum sind keinerlei Berge mehr und die Menschen quatschen wieder ohne Dialekt. Schade irgendwie.

Danke jedenfalls Ralf für diese unglaublich tolle Reise. Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass das irgendwann mal wiederholt werden muss!

Ich bemerke, wie sich die bei mir ganz typischen “Nachtourdepris” einschleichen wollen. Nach so genialen Wochenenden oder Trips fällt es mir immer sehr schwer, wieder in den Alltag zurück zu kehren.
Da bleibt nur eines: Immer weiter machen!
Darum mach ich das auch. In gerade einmal drei Tagen geht es für drei Konzerte nach Berlin – zu dieser “anderen” Band mit dem EINEN guten Song!

(M. R.)