Rammstein sind zurück!

Das Warten hat ein Ende! Nach inzwischen 10 Jahren Pause, für mich tatsächlich ein halbes Leben, veröffentlichten Rammstein ihr selbstbetiteltes 7. Studioalbum.

Schon vor einigen Wochen haben Rammstein die Erwartungen auf ein neues Album ins nahezu unermessliche hochgeschraubt. Die Single „Deutschland“ schlug ein wie eine Bombe. Ein paar Sekunden Video in KZ-Optik und alles schien Kopf zu stehen. Kritiker überschlugen sich und schnell stand für viele fest „Wir wissen zwar nicht was das soll, aber wir sind dagegen!“. Aber das brachte genau das, was Rammstein erwartet und provoziert hatte: ultimative Aufmerksamkeit. Das dann veröffentlichte opulente Video, war dann doch ganz anders als zunächst gedacht. Ein neunminütiger Ritt durch tausende Jahre deutsche Geschichte mit eindrucksvollen Bildern und einem geschickten Text. Rückblickend wirkt der Song wie ein Höhepunkt, wenn nicht sogar DER Höhepunkt, in der Rammstein-Geschichte. Die selbst aufgeheizten Erwartungen wurden sogar noch übertroffen. Hier wurden alle Register gezogen und nichts dem Zufall überlassen. Rammstein waren politisch und direkt wie noch nie zuvor, ohne auch nur eine Sekunde lang plump zu wirken. Ein Meisterwerk, was definitiv um den Titel bester Rammstein-Song kämpfen darf. „Wenn das nur der Opener ist was mag uns dann auf dem restlichen Album erwarten?“, fragte ich mich da. Die Antwort ist ernüchternd. Einen auch nur um Ansatz vergleichbaren Song wie „Deutschland“ sucht man auf dem Album vergebens. Selbst die zweite Single „Radio“ hat nicht im Ansatz die gleichen Qualitäten, obwohl es sich auch hier um einen gelungenen Song handelt. Aber dennoch wirkt es, als hätten Rammstein ihr Pulver bereits im ersten Song verschossen.

 „Zeig Dich“ beruhigte mich diesbezüglich zunächst. Ein typischer Rammstein Song: düstere Thematik, harte Gitarrenriffs etc. Jedoch überkam mich hier erstmals ein Gefühl, dass mich über das ganze Album begleitete, „Das kenn ich doch schon!“. Den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat Rammstein bereits vor Jahren in „Halleluja“ thematisiert. Des Weiteren erinnert „Zeig Dich“ musikalisch sehr an das Lied „Zerstören“, als hätte Rammstein bei sich selbst geklaut. Aber dennoch bleibt „Zeig Dich“ einer der stärksten Songs des neuen Albums und das die Katholiken beim Thema Missbrauch auf ganzer Linie versagt haben, kann man wohl auch gar nicht oft genug sagen.

Beim nächsten Song „Ausländer“ dachte ich zunächst Spotify hätte mich versehentlich an eine Ballermann-Playlist weitergeleitet. Denn „Ausländer beginnt mit einem für Rammstein eher ungewöhnlichen Techno-Intro. Als ich dann jedoch den Text hörte, konnte ich nicht aufhören zu grinsen. Das habt ihr wieder geschickt angestellt Rammstein. Waren wir uns im Vorhinein doch alle einig, dass es sich bei „Ausländer“ um einen politischen Song zum Thema Flüchtlinge handeln wird. Stattdessen geht es wie schon 2009 bei „Pussy“ um Sextourismus (habe ich schon wieder ein Déjà-vu?) und entpuppt sich als der unterhaltsamste und unbeschwerteste Song des Albums. Gerüchten zufolge erwartet uns für diesen Song am 27.05. sogar noch ein Video, offiziell bestätigt ist das jedoch noch nicht. Ich denke, bei diesem Lied werden sich die Meinungen der Fans am weitesten spalten, ob es sich um ein gelungenes Werk oder ein totales Desaster handelt. Mir persönlich gefällt‘s und ein geschickter Schachzug ist der Song auf jeden Fall. Wenn die Rechten „Fans“ die Rammstein Konzerte heimsuchen und „Deutschland, Deutschland über allen!“ mitsingen wollen, bitteschön. Aber dann müssen sie auch mit der Zeile „Ich bin Ausländer!“ leben.

Mit solcher Raffinesse kann „Sex“ leider nicht überzeugen. Wieder einmal geht es um das Lieblingsthema von Rammstein: SM-Praktiken. Oder um einen kranken Frauenarzt, könnte auch sein. „Ich schau‘ dir tief in das Geschlecht“/ „Eine Faust in meinem Bauch“ Sowohl textlich als auch musikalisch ist der Song wenig einfallsreich und der hymnische Refrain klingt fast zu stimmig. „Komm mit mir / Wir leben nur einmal / Wir lieben das Leben“ Als hätte Till Lindemann zusammen mit Campino Texte geschrieben. Das hat Rammstein früher definitiv geschickter verpackt und mit Vorgängersongs wie „Ich tu dir weh“ kann „Sex“ sich beim besten Willen nicht messen.

In der Mitte des Albums überraschten Rammstein mich nochmal mit dem starken Song „Puppe“. Auch hier war mein Gedanke zunächst „Moment mal, das hab ich doch schon mal gehört“. Diesmal allerdings im positiven Sinne. Und tatsächlich, ein Blick in meinen ein wenig eingestaubten Gedichtband von Till Lindemann, zeigt es handelt sich um eine Gedichtvertonung. Zwar mit einigen Abwandlungen und Zusätzen, so wird aus der Mutter die Schwester und die Puppe taucht im Gedicht auch nicht auf, aber Geschichte und Erzählweise bleiben die Gleiche. Das lyrische Ich, ein Kind, beschreibt mit unschuldig naiven Worten wie sich seine Schwester im Nebenzimmer prostituiert, während es mit seiner Puppe spielt. Was sich zunächst wie eine vorgelesene Geschichte anfühlt explodiert dann jedoch so unvermittelt mit „UND DANN REISS ICH DER PUPPE DEN KOPF AB! DANN BEISS ICH DER PUPPE DEN HALS AB! ES GEHT MIR NICHT GUT. NEIN!“, dass es mich bei ersten Mal hören morgens fast aus dem Bett geworfen hätte. Nur um dann doch darüber zu lachen. So überzogen, so theatralisch, dass es schon wieder lustig ist, als würde Rammstein sich selbst parodieren. Schön das ihr wieder da seid, Rammstein!

 Die zweite Hälfte des Albums ist dagegen eine herbe Enttäuschung. „Was Ich Liebe“, „Diamant“ und „Weit Weg“ verschmelzen zu einem unaufgeregten Einheitsbrei-Gedudel, was in früheren Tagen bei Rammstein gerade mal für die B-Seite gereicht hätte. Dabei könnte „Diamant“ ein wunderschöner Song sein. Eine ruhige Abwechslung auf einem ansonsten krachenden Rammstein-Album. Doch in Kombination mit den anderen, ohnehin schon ungewöhnlich seichten Liedern, wirkt die Ballade wie eine viel zu dick aufgetragene Schlagerschnulze.

„Tattoo“ hingegen schafft es mich noch einmal aus der Trance zu reißen und als guter Song zu punkten. Tatsächlich geht es in diesem Song um Tattoos (ironischerweise, schließlich gehört Rammstein wohl zur Rockband mit den wenigsten Tattoos überhaupt). Sicher das Thema ist unfassbar belanglos, aber der Song ballert rein, und vermittelt wieder die Lust mitzusingen. Für die Fans steht zumindest fest welches Lied demnächst beim Tätowierer laufen wird.

Der Schlusssong mit dem etwas dubiosen Titel „Hallomann“ hingegen, tendiert eher wieder zur Enttäuschung. Schade eigentlich, denn hier wäre durchaus Potenzial gewesen dem Zuhörer eiskalte Schauer über den Rücken zu jagen. Das Rammstein die Rolle des pädophilen Täters erschreckend realistisch darstellen kann, haben frühere Songs gezeigt. „Hallomann“ beginnt zunächst gut, verläuft dann jedoch in einem langweiligen Refrain, ohne einen nennenswerten Eindruck zu hinterlassen.

Was kann man nun abschließend über das Album sagen? Wird es seinem Namen „Rammstein“ gerecht? Die Antwort lautet aus meiner Sicht leider: Nein. Dabei ist „Rammstein“ kein schlechtes Album, ein Großteil der Songs gefallen mir sogar sehr gut. Aber um wirklich ein starkes Rammstein-Album zu sein, fehlt eine ganze Menge. Der eigene Stil, den davor jedes Rammstein-Album bisher hatte, existiert hier nicht. „Rammstein“ ist viel zu vorhersehbar und damit streckenweise langweilig. „Deutschland“, „Radio“, „Ausländer“ und „Puppe“ überzeugen, weil sie mit Themen und einem Stil überraschen, mit dem vor Wochen noch niemand gerechnet hätte. Dagegen stehen Lieder wie „Sex“, die etwa so einfallsreich sind wie ihr Titel. Möglicherweise ist man als Rammstein-Fan aber nach all den Jahren auch abgestumpft. Ein Song wie „Hallomann“ hätte vor ein paar Jahren vielleicht noch einen Skandal ausgelöst. Stattdessen nimmt man jetzt nur noch schulterzuckend zur Kenntnis „jaja, Kindesentführung. Ein klassisches Rammstein-Thema, sehr schön.“ Rammstein schockt offenbar einfach nicht mehr so wie damals. Im Grunde handelt es sich denoch um ein solides Album, aber mit seinen Vorgängern wird es nur schwerlich mithalten können. Das ausgerechnet dieses Album den Titel „Rammstein“, quasi ein Synonym für Perfektionismus, tragen darf wird der Sache nicht gerecht.

Das wohl größte Problem ist, dass Rammstein sich mit Rammstein vergleichen muss und da liegt die Messlatte einfach bereits in utopischen Dimensionen. „Deutschland“ schaffte es die Latte noch mal ein gutes Stück höher zu legen und Radio konnte da, nach drei Anläufen, vielleicht noch geradeso mithalten. Aber auch gute Songs wirken im Vergleich einfach schwach, und laufen selbst mit ausgestreckten Armen noch problemlos unter der Messlatte durch. Möglicherweise hatten die Jungs von Rammstein recht als sie bereits vor Jahren meinten, dass Rammstein alles erreicht hat.

Wenn man so darüber nachdenkt, ergibt sogar das kuriose Albumcover Sinn. Ein Streichholz auf weißem Grund. Ja, es ist immer noch Feuer und damit Rammstein, aber eben in einer deutlich harmloseren Version. Die großen Flammenwerfer von früher existieren jetzt scheinbar nur noch auf der Bühne und nicht mehr in der Musik. Da bleibt nur ein Streichholz. Rammstein in seiner bisher ungefährlichsten Form.