Rave to grave – Seeed in Köln (03.10.2012)

Es war einer dieser grauen, nassen Herbsttage, an denen ein jeder lieber in der Kuscheldecke mümmelnd die Zeit mit Fernsehen oder Literatur von Welt verbringt. Doch ein, noch nicht in den Süden geflohenes Vögelchen, zwitscherte nachmittags unverhofft von einem mehr oder weniger geheimen Clubkonzert. Seeed gastierten in der Stadt. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen – also Regenschirm aufgespannt und rein in das Herbstgrau(en). Schließlich lockte Sommerfeeling in Form von Musik – oder?

Der Wettergott meinte es wirklich nicht gut mit uns spontan Entschlossenen. Seit mittags warteten die Ersten bereits vor dem „Club Bahnhof Ehrenfeld“, der als Ort des Geheimgeschehens erwählt wurde. Dank meiner bereits wartenden Freunde, musste ich meinen Warteplatz erst gegen 18 Uhr einnehmen. Bisher war es relativ trocken zugegangen. Doch Petrus beschloss die Ungemütlichkeit in die Ehrenfelder Straßen einziehen zu lassen – eine Bewährungsprobe für alle sonnenverliebten Dancehall-Freaks. Der Himmel weinte – Petrus war wohl sickig, dass er nicht auch Teil des Clubkonzerts sein durfte. Gott sei Dank waren wir alle nicht aus Zucker und hielten der himmlischen Prüfung stand. Einzig und alleine die Gerüchteküche heizte uns alle an. Topgerücht 1: Es gibt wohl noch 200 Tickets. Der Rest war bereits in den vergangenen zwei Tagen im Sektor-Radio 1live verlost worden. Dank unserer Warteplätze standen die Chancen also nicht schlecht – sehr gut. Jedoch gingen die Meinungen bezüglich des Zeitplanes auseinander: 18:30 Uhr Kartenverkauf, 20 Uhr Einlass, 21 Uhr Beginn. Die Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen mit meiner trockenen Couch mit kostengünstiger Erfrischungsversorgung erheiterte; wurde aber gen 19 Uhr wieder aufgegeben. Also doch warten bis zum bitteren Ende. „Wehe, das Konzert wird nicht gut“, war mein einziger Gedanke, während meine Unterbekleidung trotz angeblich wasserdichter Jacke und Beschirmung durchweicht an meinem Ellenbogen klebte. Immerhin waren unsere unmittelbaren Mitwartenden recht amüsant (hiermit Grüße ins Bergische und an die Germanistin).

Aber jedes Warten hat einmal ein Ende – der Einlass begann – und tropfend wurden wir schnell durch Zelte in den Barvorraum des Clubs geschleust. Schnell ein Getränk geholt, aus der Oberbekleidung gepellt und schon ging die Schleuserei in Raum Zwei weiter. Der Raum stellte sich als eine Art Schlauch heraus, an dessen Ende eine kleine Bühne aufgebaut war. Ursprünglich war die Örtlichkeit ein Torbogen des darüber liegenden Bahnhofes. Urteil: Schicke Location und akustisch sicherlich ein interessantes Experiment, dank der abgerundeten Decke. Eine Frage stellte sich jedoch sehr schnell: Wie zur Hölle sollen elf (!!) Leute auf der winzigen Bühne Platz finden. Alleine die bereits aufgestellten Instrumente nahmen dreiviertel des Podestes ein. Spannende Angelegenheit. Auch im Publikum stellte sich langsam das Gefühl einer Sardinendose ein. Natürlich war der Gig schnell ausverkauft und ein Teil der Wartenden mussten heim geschickt werden.  Die sich aufwärmenden Körper im Saal vernebelten das Konzertsälchen ganz ohne Maschinerie bereis vor Beginn der Show. Apropos Beginn – der Zeitplan schien heute nebensächlich. Um 21:30 Uhr hatte Peter Fox zwar schon meinen Standpunkt gekreuzt, aber weit und breit war kein Intro zu hören. Aber am Tag der deutschen Einheit konnten deutsche Tugenden wie Pünktlichkeit auch gerne mal vergessen werden.

Ein wenig später kam dann die Erlösung und schon nach den ersten Tönen, rastete das Publikum aus – eine tanzende Einheit, jedoch ohne rohe Pogogewalt, wie ich sie sonst kenne. Welch ein Genuss. Entspannung macht sich breit. Alles hatte sich gelohnt. Ein kleiner Blick in die Menge verrät – alle strahlen! Auch mein Lächelnd scheint festgetackert. Die Temperatur steigt. Nach zwei Liedern, einer kleinen Begrüßung inklusive winziger Entschuldigung, ist es da – das Sommerfeeling. Der tosende Herbstabend darf draußen warten, ist schier vergessen. Im Club Bahnhof Ehrenfeld herrscht ab sofort der Sommer. Die Songauswahl des Abends ist ein bunter Cocktail aus neu („Beautiful“, „Augenbling“) und alt („Schwinger“, „Ding“). Kleiner Kritikpunkt an der Setlist – ein wenig fehlten zwischenzeitlich die tanzbaren „rude“ Songs, der Reggaesound. Zeitweise überwiegen die langsamen Stücke sehr, was Peter Fox aka Pierre Baigorry entschuldigte mit den Worten „Wir sind auch nicht mehr die Jüngsten.“ Alt aussehen ließen die drei Sänger jedoch jede Bühnenshow, die ich dieses Jahr gesehen habe. Trotz latenten Platzmangels nutzen die Drei jeden freien Quadratzentimeter auf der Bühne, um ihre Hüften schwingen zu lassen. Auch kleinen Choreografien wurden in die Bretter gestampft. Bemerkenswert. Auch der Rest der Band war zwar bewegungseingeschränkt, feierte aber soweit wie möglich ab.

Gesanglich wie musikalisch waren die Dancehall Caballeros ebenfalls unglaublich. Die Herren haben eine gesangliche Dominanz an den Tag gelegt, die mir fast die durchnässten Socken ausgezogen hätte. Oftmals dreistimmig wurden Refrains nur so dahin geschmettert. Dass eine Band, die acht weitere Musiker beinhaltet, musikalisch ebenfalls einiges zu bieten hat, muss ich sicherlich nicht besonders betonen. Mein persönliches Highlight war mit Abstand die „Extended Version“ von „Dickes B“. Seeed bastelten mit Beats von Justin Timberlake und machten Deichkind Konkurrenz. „Rave to grave“ war eine der Zwischenansagen der Berliner. Und das nahmen sich viele zu Herzen. Tanzen bis der Arzt kommt. Die Luft war kaum noch zu ertragen, aber wenn das Leben mal einen ausgibt, kann keiner stehen bleiben. Persönlich erfreute mich auch sehr, dass Seeed auch zwei Lieder von Peters Soloalbum „Stadtaffe“ spielten. In neue Beats eingekleidet, animiert auch diese sehr zum Tanzen und geraten nicht, wie einst befürchtet, in Vergessenheit. Als Peter Fox dann noch betonte, dass er froh sei, wieder mit der gesamten Combo unterwegs zu sein, denn das sei seine Familie, war die Intimität des Abends auf dem Höhepunkt. Es heimelte sowieso sehr stark in den anderthalb Stunden Show. Wie eine große Familie, verabschiedeten knapp 300 Leute + elf den viel zu kurzen Sommer mit einem ausgelassenen Fest. Melancholie bricht zum Ende aus. Es wird sich bei den Fans für die jahrelange Treue bedankt. Nach einer kurzen Zugabe, singt das Publikum „oh wie war das schön“- recht haben sie.

Mit der Sonne im Herzen und einem Strahlen im Gesicht, geht es nach Hause. Im Gepäck habe ich ebenfalls die Erkenntnis: Das war nicht das letzte Mal! Und manchmal kommt nach Regen tatsächlich Sonnenschein.

Jenny