Köln, Dienstagabend – eine neue Ära soll beginnen. Die Band Nagel gibt ihr Debüt. Was von der Band bisher bekannt ist? Nun ja, bei Facebook gab es ein, zwei Bilder, Youtube verriet neuerdings zwei Songfetzen. Ansonsten war da nichts. Okay, nichts ist gelogen. Nagel, der Frontmann und Namensgeber der Band, ist ein alter Bekannter. Bis 2009 tourte er mit seiner Band muff potter. Danach schrieb und las er in der gesamten Nation; versuchte sich gar als Künstler. Nun sollte er also wieder zurück auf der Bühne sein, erfreulicherweise mit Gitarre und Mikrofon.
Ich ließ mich auf das Experiment ein; Arbeitstitel: „Katze im Sack“. Schließlich wusste keiner was kommt. Es wurde gemutmaßt: „Ich glaube, es ist eher ruhig. Mehr so Singer-Songwriter, wenn die Youtube-Schnipsel denn einen Gesamteindruck liefern sollten.“ Ja, so dachte ich vor dem Konzert und wurde überrascht.
Zur Premiere gastierten zwei weitere Formationen in der Kölner Werkstatt: Cannon Bros (Canada) und Intergalactic Lovers (Belgien). Es versprach somit ein langer Abend zu werden (, den ich dank Gripostat auch überleben sollte). Cannon Bros sahen aus wie Geschwister – Männlein und Weiblein (es sei entschuldigt, wenn ich hiermit falsch liege) – und versetzten mich in einen Zustand von Gastieren in einer amerikanischen Serienkneipe. Es war skurril, nicht wirklich gut, aber ein erfolgreiches Teilexperiment für den Abend; szenenfüllend. Die Beiden wechselten sich stetig ab mit Gitarre und Schlagzeug. Mehr gab es auf der Bühne nicht. Leider basierte ihr College-Rock mehr auf den höheren Tönen, die größtenteils über ihr Ziel hinausschossen. Nach einer kurzen Umbau- und Raucherpause folgten die Intergalatic Lovers. Ich muss sagen, ein Highlight. Leise und melodisch inklusive tanzender Sängerin, musizierte die belgische Combo vor sich hin. Die Resonanz durch das Publikum war leider mau. Es schien aber das allgemeine Problem des Abends zu sein (aber dazu später noch mehr). Ich jedenfalls war schnell verzaubert von der Stimme und stellte wieder einmal fest, dass es viel zu wenig gute Bands mit weiblicher Gesangsbesetzung gibt. Schade, denn diese Band zog mich regelrecht in ihren Bann. Experiment Teil zwei – Indie-Frauen-Rock-Märchen – done.
Die Hauptband ließ sich Zeit. Schließlich musste der Weißwein auf die richtige Position bugsiert und sämtliche Schlag- und Elektroinstrumente auf der Bühne verbaut werden. Das Publikum schwieg. Im Hintergrund lief feinster Reggea zum Warten. Innerlich überschlugen sich die Gefühle – was kommt jetzt? Nagel war für mich immer muff potter. Eine Band, die schon viele persönliche Momente meines Lebens vertonen durften, gar mussten. Ja, da war es wieder – das Hundertkiloherz, das bedient werden wollte. Es ging los – ein Intro, die Band torkelte größten Teils auf die Bühne. Ihre Anspannung sprang die erste Reihe an. Und zerschellte mit den ersten lauten Tönen. Das Hundertkiloherz verspritze den servierten Champagner wie ein Formel 1 Sieger. Was hier passierte, brachte mir wieder nahe, wieso ich so oft auf Konzerte renne. In einem sehr schlauen Buch stand einmal geschrieben „Musik ist nicht da, um die Welt zu retten. Sie ist da, um dir das Leben zu retten.“ Hier war der Beweis. Irgendwo im Inneren erwachte wieder etwas zum Leben. Objektiv war der Auftritt vielleicht nicht einer der Besten. Aber der Besten von was – es fehlt die Vergleichsmöglichkeit. Schließlich war der häufigste Satz des Abends „Es ist unser erster Auftritt“. Es war vor allem der erste Abend für die technischen Einstellungen – hoffe ich zu mindestens. Vom Text war wenig zu hören (wobei die Wortfetzen, die ankamen, drangen direkt durch die Epidermis und noch viel weiter ein und gesellten sich zum feiernden Hundertkiloherzen). Dafür knallten Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboard und sämtliche andere Schlaginstrumente umso mehr. Sehr zum Leidtragen des Trommelfells. Aber ein wenig Schwund ist immer.
Doch was wurde aus den anderen Experimentteilnehmern? Sie schwiegen. Zwischen den Liedern hätten Stecknadeln vom Himmel regnen können, alle wären gefunden worden. Nagel war sichtlich irritiert, versuchte es mit Dialogen. Diese liefen aber darauf hinaus, dass wir alle eher zum Landadel gehörten und von Kunst und Co. nur bedingt Ahnung hatten. Aber ich werde nun eine Lanze für alle Dagewesenen brechen – schließlich wirkte das Experiment bei mir vor allem Innen. Ohne eine Textzeile zu kennen, ohne den nächsten Takt vorhersagen zu können, ist es auch schwierig pure Euphorie nach außen tragen zu können. Die Überraschung war die Königin des Abends. Was bleibt, war das kleine debile Grinsen im Mundwinkel und ein wippender Fuß, wie ich es bei Vielen beobachten konnte.
Und so endete das viel zu kurze erste Konzert mit einem Schreidialog zwischen Keyboarder und Sänger. Worum es ging? Keine Ahnung – es war viel zu leise, aber gleichzeitig so befreiend. Mein Fazit des Experimentes: Ich will mehr. Ich will diese Musik mit akustisch verständlichen Texten auf meinen Kopfhörern haben und dem grauen Winter entgegenfiebern. Bitte.
Jenny