Sabrina und mir ist nach einem Spontankonzert eine Woche zuvor aufgefallen, dass erschreckenderweise dieses Wochenende gar nichts ansteht laut unseren Konzertplans. Das geht so nicht!
Im Hinterkopf geisterte jedoch schon länger ein kleiner, unschuldig wirkender Gedanke an das Mair1-Festival herum, da hier Benzin spielen würden. Nun sah der kleine Gedanke seine Chance gekommen, brach einfach wie Bud Spencer zu seinen besten Zeiten durch die Tür des Thalamus in die Großhirnrinde und damit in unser Bewusstsein und präsentierte sich uns beiden voller Stolz mit angeschwollener Brust. Aber fast zwei Stunden Fahrt und 30 Euro für eine Tageskarte, nur um dann in erster Linie 40Minuten lang eine Band zu sehen, die wir eh schon fast in- und auswendig kennen…ist es das wert?
Ja.
Zu unserem Glück gewann dann aber noch eine Freundin zwei Gästelistenplätze für den Samstag, die sie selbst jedoch nicht benötigte, da ihre eigene Karte für das komplette Festival bereits seit Monaten im Schrank lag. Das erleichterte die Entscheidung dann noch, denn so muss jeder von uns nur die Hälfte zahlen.
So kommt es also, dass wir am Samstagmorgen, dem 16.6.2012, das Auto mit Wechselklamotten, Gummistiefeln und Konzerttouristen beladen und uns von Duisburg aus auf den Weg nach Montabaur in Rheinland-Pfalz machen. Der Weg ist unkompliziert und die Fahrt verläuft ohne erwähnenswerte Vorkommnisse. Nur der Dauerregen lässt schon jetzt nichts Gutes hoffen.
Am Flugplatz in Montabaur angekommen, wird Sabrina und mir schnell klar, dass es eine verdammt gute Idee war, die Gummistiefel einzupacken. Schon die Fahrt auf dem Parkplatz lässt uns erahnen, wie das Festivalgelände ausschauen könnte und ich rutsche mit meinem kleinen Seat eher den Hang hinunter, als dass ich fahre. Wir stellen mein Auto direkt neben dem Ausfahrtschild ab, weil wir, schlau wie wir sind, uns erhoffen, von hier heute nacht schnell und unkompliziert (sprich, ohne im Matsch stecken zu bleiben) wieder wegzukommen. Anschließend rüsten wir uns für einen Tag bei miesem Wetter aus, auch wenn es im Moment tatsächlich nicht regnet, und stapfen den Weg hinunter zum Eingang auf das Festivalgelände.
Der junge Mann an der Bändchenausgabe möchte gerne meinen Personalausweis sehen, weil er mir nicht glauben will, dass ich bereits 18 bin. Ich grummel ein wenig vor mich hin, verziehe das Gesicht und zeige den Berg hinauf, ziehe meinen Autoschlüssel und frage, ob ich nun ernsthaft wieder hinauf latschen müsse, um mit MEINEM Autoschlüssel, aus MEINEM Auto, mit dem ich soeben die anderen hierher gefahren habe, meinen Ausweis zu holen, auf dem steht, dass ich schon in Kürze 25 werde – aber es hilft alles nichts. Also nochmal zurück. Beim zweiten Versuch, jetzt mit Ausweis, bekomme auch ich dann endlich mein graues Festivalbändchen verpasst und wir betreten das Gelände.
Zwei große Bühnen unmittelbar nebeneinander am Ende des Geländes erheben sich vor uns. Weiter vorn zum Ein- und Ausgang, seitlich gelegen, ist noch eine dritte, sehr kleine Bühne. Auf genau dieser werden Benzin später spielen. Es kommen kleine Zweifel auf, wie das mit dem Sound klappen soll, wenn diese winzige Bühne und eine der beiden großen gleichzeitig bespielt werden. Bereits beim Soundcheck der ersten Band The Grandtry, die easycore Pop-Punk zum Besten geben und uns durchaus gefallen, bestätigt sich dann leider die Vermutung. Viel zu brachial erklingt der Metallsound der Hauptbühne über den Flugplatz und mischt sich mit den musikalischen Tönen, die aus unserer Sicht von vorne kommen. Naja, was soll’s.
Wir schauen uns noch ein wenig um, essen und trinken etwas und Sabrina kauft noch ein Shirt für einen guten Freund. Ralf und Tobi verschwinden dann vor irgendeiner der drei Bühnen, während wir Mädels weiter shoppen. An dieser Stelle muss ich übrigens auch die Toiletten mal lobenswert erwähnen (Klos sind ja bekanntlich immer ein großes Thema auf Festivals 😉 ). Spülklos, alle sehr sauber, obwohl bereits der zweite Festivaltag ist und MIT Toilettenpapier! Das kann schon mal für spontane Begeisterung sorgen auf so einem Festival.
Gegen 16,30Uhr setzt dann, wie leider vorher zu erwarten, ein nicht allzu starker, aber sehr beständiger Dauerregen ein. Wir verkriechen uns mit etwas Essbarem unter ein Zelt. Als wir fertig sind, werfen wir ein Blick auf den Wetterbericht der nächsten Stunden. Da sich keinerlei Änderung ankündigt, denken Sabrina und ich uns, dass wir ja spätestens zu Benzin dann sowieso nass werden und darum auch schon jetzt wieder vor eine der Bühnen könnten. Also wieder ab unter den freien Himmel. Weil das Laufen auf dem Untergrund immer schwieriger wird, entscheiden wir uns für die kleine “KIA-Powerbühne”, vor der wir dann bis Benzin einfach stehen bleiben können. Hier spielen gerade Between Love And Madness und zu harten Shouts und „klassischem“ Metal üben wir uns darum sogar im Headbangen. Während wir so vor der Bühne stehen, wird uns erst so richtig bewusst, wie metallastig das Line-Up doch ist und wie “unmetallig” Benzin ja nun mal sind. Nun jaah, sie werden heute hier rausstechen, so viel steht fest.
Noch während Shake The Pagoda Tree – Überraschung: eine Metalband – spielen, erscheint Bassist und Benziner Simon hinter uns im Matsch. Als er uns sieht, werden wir mit einem netten “ach, ihr seht ja genauso scheiße aus” begrüßt. Ich hoffe, er meint lediglich den Verschmutzungsgrad unserer Anziehsachen und warne ihn nun schon, doch mal abzuwarten, wie das nach dem Auftritt ihrerseits erst sein wird. Nach einem kurzen Plausch lässt er uns wieder im Regen stehen, weil er nun arbeiten muss und der Transporter der gerade noch spielenden Band jedoch leider die Zufahrt versperrt.
Endlich rückt der Zeitpunkt des Auftritts der Benziner näher. Bis eben haben wir noch gedacht, heute werden genau vier Leute für die Ulmer vor der Bühne stehen, nämlich wir. Zu unserer Erleichterung lässt sich nun aber erkennen, dass zumindest eine handvoll anderer Menschen die Band ebenfalls bereits kennt und mit eben dieser handvoll Menschen kommen wir auch schnell ins Gespräch. Insgesamt bleibt es dank Wetter und zeitgleich spielender, größerer Bands eher leer vor der Bühne, das tut der Stimmung jedoch keinen Abbruch. Ein noch recht jung und auch recht betrunken wirkender Kerl scheint aus irgendeinem Grund Gefallen an mir zu finden. Das beschert mir zwar ein Freigetränk, jedoch auch einen sehr anhänglichen “Konzertbegleiter”, der immer wieder versucht, mich in die erste Reihe zu schieben, wo ich aber überhaupt nicht hin will.
Zum Glück erklingen bald darauf die ersten Töne des Intros und die Jungs von Benzin, die vorhin extra wieder zu diesem Zweck nach ihrem Aufbau verschwunden sind, schieben sich wieder auf die kleine Bühne. Nun heißt es auch für uns 40Minuten Gas geben! Sabrina und ich springen also wie bekloppt durch den Matsch und schreien uns jede Textzeile aus dem Leib, während unsere mitgereisten Herren der Schöpfung lieber alles von vorne betrachten. Der Boden gleicht nun mehr einem Wattenmeer als einem Flugplatz und mit jedem Sprung habe ich die Befürchtung, dass mein Gummistiefel einfach stecken bleibt. Verdammt, ist das anstrengend!
Die Band selbst bemerkt auch, dass der Sound von einer der Hauptbühnen recht ungünstig zu uns hinüberschallt, sie nehmen es jedoch mit Humor. “Läuft da etwa eine Gegenveranstaltung?” oder “Zwei Festivals auf einem Gelände, wer macht den sowas?”. Ebenso scheinen sie sich selbst ein wenig zu wundern, überhaupt hier zu spielen, und amüsieren sich offensichtlich sehr darüber. So wird dann auch bei dem Song “Bewegung” zum Circle Pit aufgerufen, dem garantiert kleinsten des Festivals, denn dies sei ja nun mal ein Metal-Festival. “Na da mach ich doch mit!”, denke ich mir (wie immer), und renne los. Währen ich so laufe, wird mir erst bewusst, dass “Circle Pit” ja irgendwie bedeutet, dass man im Kreis rennen muss. Aber wie verflucht nochmal soll das auf diesem Boden funktionieren? Ich entscheide mich, es einfach mit einer Art rechteckigem Lauf statt mit einem Kreis zu versuchen, denn dann muss ich wenigstens nicht permanent die Kurve kriegen. Die erste Kurve bewältige ich, in dem ich mich an einem Mitläufer festkralle und einfach an ihm um die Ecke ziehe, hah! Der Arme schaut etwas verwirrt, weil ich ihn einfach wie eine Art Laternenmast benutzt habe, ich triumphiere dennoch über die gemeisterte Kurve. Blöderweise naht dann die nächste Wende. Ich suche noch nach einem neuen Laternenmastimitator, werde jedoch enttäuscht, weil weit und breit niemand zur Verfügung steht. Dann muss ich es eben so probieren. Zu dem Zeitpunkt werden dann dank Bodenbelag jedoch meine Beine schneller als der Rest meines Körpers und es kommt, wie es kommen muss: Ich leg mich einmal mit voller Breitseite in den Schlamm. Sauber!…äh…oder eher: Dreckig! Aber hey, DAS MACHT IRGENDWIE ECHT SPAß! Jedenfalls ist von nun an aller Vorsicht vergessen, ich sehe jetzt eh aus wie sau und kann nun irgendwie noch befreiter von Matsch zu Matsch hüpfen. Der Traum eines jeden Kindergartenkindes. Aber nicht nur hier unten vor der Bühne scheint es glatt zu sein. Während wir noch tanzen und singen, kriegt Sänger Sebi plötzlich Probleme, den Text fortzuführen, weil er und auch die anderen herzlich lachen müssen. Simon hat sich so eben beim Versuch einen möglichst eleganten Bassistenmove hinzulegen ebenfalls quer gelegt und strampelt nun wie ein Käfer auf dem Rücken zu ihren Füßen.
Die 40Minuten sind jedenfalls viel zu schnell vorbei. Wir begrüßen dann anschließend kurz die Mitglieder der Band, bei denen wir zuvor nicht die Möglichkeit hatten und beschließen, uns noch die restliche Spielzeit von ZSK anzuschauen.
Zu diesem Zweck laufen wir also los – wobei rutschen es definitv besser trifft. An uns vorbei gleitet ein erdtonfabender junger Mann mit nacktem Oberkörper auf seinem Bauch und das sogar mit ziemlichem Tempo. Warum auch nicht, leichter und auch schneller als zu Fuß ist das allemal.
httpv://www.youtube.com/watch?v=A-vTDyqLMJs
Von ZSK bekommen wir noch etwa vier bis fünf Songs mit, zu denen wir dann auch ausgelassen tanzen und singen. Sänger Joshi kommt nach unten an die Absperrung und wird, während er singt, vom Publikum mit Stroh und Matsch verziert. Er nimmt’s gelassen, macht einfach weiter und steht rein äußerlich keinem Festivalbesucher mehr in irgendetwas nach. Zum Abschluss verteilen die Politpunks noch Schnaps ans Publikum, wohlwissend, dass das immer Pluspunkte bei Festivalbesuchern einbringt und dann ist auch hier schon wieder Schluss.
Als die letzten Töne auch nicht mehr nachhallen, verrät ein Blick in die Gesichter der anderen, dass es uns allen gleich geht. Schlagartig bemerken wir, wie sich die Nässe längst durch alle Kleidungsschichten bis zur Unterwäsche durchgemogelt hat. Wir sind verdammt nass, verdammt dreckig und ich für meinen Teil nun auch verdammt platt. Wir kommen einstimmig zu dem Entschluss, dass wir bei besserem Wetter vielleicht auch noch mehr Metal gehört hätten und bis zum Ende dageblieben wären, nun aber durchaus auch zufrieden sind, wenn es jetzt bereits heimwärts geht.
Am Auto angekommen bin ich kurzzeitig verwirrt. Das Ausfahrtsschild ist verschwunden. Ein kurzes Gespräch mit einer leicht überforderten Ordnerin klärt uns darüber auf, dass die Ausfahrt gesperrt sei, weil da kein Auto mehr lang fahren könne. Verdammt. Das mit dem kurzen Weg zur Ausfahrt hat sich dann also auch erledigt. Wir versuchen dafür jetzt, die Kunst des Umziehens, bei der man möglichst wenig vom nassen Erdreich in mein Auto hinein transportiert. Wir schlüpfen also alle in unsere trockenen und sauberen Klamotten , bis auf Tobi. Der schlüpft in zwei Mülltüten, die er sich vorhin noch bei den Benzinern erbettelt hat, weil ich ihm angedroht habe, dass er so nicht in mein Auto käme, da der Gute der Einzige von uns ist, der sich keine Wechselklamotten mitgenommen hat. Anschließend rutschen wir den Hang mit dem Auto weiter hinab und verlassen über die VIP-Zufahrt dann das Gelände. Das Ganze glücklicherweise ohne stecken zu bleiben wie zahlreiche Wagen, die diesen Weg vor uns nehmen wollten.
Ich fröstel während der Rückfahrt die ganze Zeit ein wenig. Mittlerweile hat es aber tatsächlich aufgehört zu regnen und die A3 ist in das wunderschöne Licht des Sonnenuntergangs getaucht, dem wir entgegen fahren. Irgendwie macht es mir nichts, dass das Wetter heute nicht so richtig mitgespielt hat. Wir waren schließlich nur einen Tag da, da kann man auch mal so was mitmachen. Außerdem hat Sabrina noch nie in ihrem Leben ein Matschfestival erlebt – und irgendwie fehlt dann ja doch was an Festivalerfahrung (und Kindheitstraumerfüllung – ohne das Mama über dreckige Kleidung meckert). Beim Hurricane nächste Woche darf dann aber trotzdem gern die Sonne scheinen- Sabrina weiß ja nun, wie das mit dem Schlamm und so ist – das reicht 😉 Ich grinse jedenfalls den Rest des Tages durchweg, denn das war ein echt guter Tag. Danke dafür an alle Beteiligten!
(miri)
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